Guten
Tag, meine Damen und Herren. Besonders begrüße ich Sie, Herr
Dr. Blüm. Es ist wirklich eine Freude, heute hier in Leipzig zu sein
und auf dieser Veranstaltung dies zu sprechen. Mehr noch, es ist mir eine
große Ehre, als Empfänger der Auszeichnung letztes Jahr, die
Laudatio für Sie, Dr. Blüm, zu halten und Ihnen den Leipziger
Menschenrechtspreis 2001 zu überreichen.
Diesen Menschenrechtspreis
gibt es erst seit einem Jahr. Er wurde als der “Alternative Karlspreis”
ins Leben gerufen, weil das Komitee darauf hinweisen wollte, daß
die europäischen Werte, für die der Original-Karlspreis steht,
nicht vereinbar sind mit der Unterstützung für die totalitäre
Scientology-Organisation, die der damalige US-Präsident Clinton gegeben
hat.
Als Leipzig
ausgewählt wurde als Ort der Preisverleihung, bekam die Sache zusätzliche
Bedeutung, sowohl für das Europäisch-Amerikanische Komitee für
Menschenrechte und Religionsfreiheit als auch für mich. Denn Leipzig
ist der Platz, wo die Freiheit in Ostdeutschland wiedergeboren wurde. Wir
befinden uns hier nur einen Steinwurf weit von der Nikolaikirche. Dort
begann der Ruf nach Freiheit in Ostdeutschland erst mit nur einer Handvoll
Leuten. Die aber wuchsen zu Hunderten und schließlich Hunderttausenden,
die in den Straßen, die dies alte Gebäude umgeben, für
die Freiheit demonstrierten.
Diese Ereignisse,
die hier in Leipzig vor nicht allzulanger Zeit stattfanden, zeigen deutlich,
daß es immer harte Arbeit ist, die Freiheit zu erringen und daß
dies Mut und Opferbereitschaft fordert. Wir wissen ebenso aus der geschichtlichen
Erfahrung, daß man die Freiheit, die man erreicht hat, schätzen
und pflegen muß und schützen muß vor denen, die sie uns
wieder nehmen wollen.
Dr. Blüm,
sie sind ein visionärer Politiker und Vorbild und haben ein klares
Gefühl für die Lehren der Geschichte bewiesen. Vor mehr als 20
Jahren wurden fast alle Probleme mit den modernen Sekten und Kulten als
rein individuell oder psychisch bedingt angesehen. Sie haben damals festgestellt,
daß wir es mit einer politischen Herausforderung zu tun haben. Viele
Leute, vor allem auch Politiker in den Vereinigten Staaten, müssen
diese Ihre sehr wichtige Feststellung erst noch begreifen.
Im Januar 2000
habe ich in Clearwater/Florida eine Organisation gegründet, die Lisa
McPherson Trust heißt. Wenn ich jetzt durch die Straßen in
der Innenstadt von Clearwater gehe, mitten unter Hunderten von Scientology-Sea-Org-
Mitgliedern, werde ich immer wieder an etwas erinnert, was Adolf Hitler
schon 1929 als die große Sache, das großartige Charakteristikum
seiner Bewegung ansah. Was Hitler als so großartig empfand war, daß
sechzigtausend Mann “äußerlich fast eine Einheit geworden sind.
Und daß diese Mitglieder der Bewegung nicht nur einheitlich in ihren
Ideen sind, sondern daß sogar der Gesichtsausdruck fast der selbe
ist. Schauen Sie auf diese lachenden Augen, diesen fanatischen Enthusiasmus
und sie werden entdecken... wie hunderttausend Mann in einer Bewegung zu
einem einzigen Menschentyp werden”. [Rückübersetzung aus dem
Englischen]
Robert S.
Minton
Foto: Claudia
Bartels
Daß der
Lisa McPherson Trust umgeben ist von der Sea Org in Clearwater, das ist
manchmal richtig unheimlich, aber es ist auch ein Segen. Es ist ein Segen,
weil unsere bloße Anwesenheit das wichtigste Element dieser totalitären
Organisation unterminiert, nämlich die Isolation der scientologischen
künstlichen Welt von der Wirklichkeit. In den 18 Monaten, die wir
nun in Clearwater sind, müssen wir ständig Scientologys Geschrei
von religiöser Verfolgung und ihre Forderung von Freiheit und Toleranz
hören. Dieselben Forderungen hören wir von Scientology z.Zt.
auch in Europa. In diesem Zusammenhang möchte ich alle Anwesenden
einmal etwas fragen. Wer machte 1981 das folgende Statement: “Die Feinde
der Freiheit sind es, die heute selbst nach Freiheit und Toleranz rufen.
... Solche Freiheitsmanifeste sind nur Masken von Sklaverei und Terror.
... Auch religiöse Gruppen oder solche, die sich so nennen, können
totalitär sein, und ich höre deshalb Botschaften von Weltregierungsambitionen
und Welterlösungen mit Mißtrauen, vor allem, wenn sie sich mit
dem Streben nach wirtschaftlicher Macht verbinden. Wir wollen eine freie
Gesellschaft bleiben.”
Ja, ich glaube,
wir alle haben richtig geraten: Es war Dr. Blüm, der dies gesagt hat.
Diese Ihre Stellungnahme, Dr. Blüm, schuf Klarheit und führte
eine politische Dimension ein in die Beschäftigung mit dem Phänomen
der destruktiven Kulte. Als Sie das Konzept des Totalitarismus schon sehr
früh in die Debatte über destruktive Kulte einbrachten, haben
sie uns Zeitgenossen befähigt zu verstehen, daß die Ziele dieser
Gruppierungen die Transformation und Unterwerfung, ja Versklavung der Natur
des Menschen selbst ist. So etwas ist nicht hinnehmbar in einer demokratischen
Gesellschaft, denn hier gilt: Wir können nur gleichwertige Mitglieder
der Gesellschaft sein auf der Grundlage unserer gemeinsamen, festen Entscheidung,
uns gegenseitig auch gleiche Rechte zu garantieren.
Sie haben meine
Wertschätzung nicht nur, weil sie ein entschiedener Verfechter der
Menschenrechte, der Arbeitnehmerrechte und der demokratischen Grundwerte
sind, sondern auch wegen Ihrer Eindeutigkeit, mit der Sie Scientologys
neue Form von Totalitarismus aufdecken, der sich tarnt im Schafspelz von
Religion und Psychotherapie. Aber da ist noch mehr: Durch Ihr Beispiel
und Ihren Schutz haben Sie andere befähigt, sich offen und kritisch
zu äußern.
Die Mitglieder
des Komitees und auch ich selbst sind Ihnen auch dankbar dafür, daß
sie die Schirmherrschaft für das Osteuropa-Seminar des Dialog Zentrum
Berlin 1996 übernommen haben. Diese Konferenz hat eine wichtige Rolle
dabei gespielt, Aufmerksamkeit für die neue Gefahr der Kulte in den
post-totalitären Gesellschaften Mittel- und Osteuropas zu schaffen.
Sie haben viele Male offen gezeigt, daß Sie daran glauben, daß
öffentliches Amt und staatsbürgerliches Engagement notwendigerweise
zusammengehören und ihre Einmischung und Schirmherrschaft war besonders
wichtig für viele unserer Freunde und Partner in Rußland und
Osteuropa.
Und schließlich,
Dr. Blüm noch etwas. Schon 1981 sagten Sie: “Ganz gewiß einig
sind wir uns dabei, was immer unser Werturteil über die neuen Kulte
sein mag, keinerlei Abstriche an der Toleranzgarantie des Artikels 4 unserer
Verfassung [Meinungs- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, also Religionsfreiheit]
zuzulassen. Daran halten wir unverbrüchlich fest. Ich füge aber
hinzu, daß jede Organisation, die diese Toleranz für sich in
Anspruch nimmt, ihrerseits die ebenfalls im Grundgesetz verankerte Würde
des Menschen und die freie Entwicklung der Persönlichkeit zu respektieren
hat. Das gilt bekanntlich nicht nur für den Staat. Es gibt auch eine
Drittwirkung der Grundrechte.” Ich füge zur Erklärung ein: Das
heißt, die Grundrechte sind nicht nur dazu da, um den Bürger
vor der Einmischung des Staates zu schützen, sondern der Staat muß
auch den einzelnen Bürgen gegen Eingriffe von dritter Seite schützen,
die die Rechte des Individuums beeinträchtigen können z.B. im
Falle von Krieg, Betrug durch Geschäftsunternehmen oder eben auch
Kulte. Und Sie führten fort: “Die Freiheit zum religiösen Bekenntnis
gehört zur Basis unserer freiheitlichen Kultur. Wir wollen nicht,
daß dieser Freiraum zum Dschungel wird.”
Dr. Blüm,
Sie sind ein Beschützer der Freiheiten und der demokratischen Ideale.
Sie haben sich selbst ausgezeichnet durch Ihren selbstlosen öffentlichen
Dienst für Ihr Land und ihre Mitbürger. Sie haben sich ausgezeichnet
durch die Klarheit Ihres Denkens und Ihre Einsicht in die Gefahren, denen
wir gegenüberstehen. Sie haben sich ausgezeichnet durch Ihren Mut,
offen über das Problem der destruktiven Kulte zu sprechen als niemand
anderes das tat.
Wir danken Ihnen
voller Respekt mit diesem Preis, der ein Ausdruck unserer größten
Hochachtung ist für alles, was sie getan haben, um die Sache der Freiheit
zu fördern und die Menschenrechte aller Mitbürger zu schützen.
Herzlichen Dank,
Dr. Blüm!
Text
der Urkunde
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Am 10.
Juni 2001 wurde in
Leipzig
der Menschenrechtspreis
des
Europäisch-Amerikanischen
Bürgerkomitees für Menschenrechte und
Religionsfreiheit
in den USA an den Bürger der Bundesrepublik Deutschland Bundesminister
a.D. Dr. Norbert Blüm
verliehen
• in Anerkennung
seiner deutlichen Worte und Taten, mit denen er die Opfer der Scientology-Organisation
ermutigt und unterstützt hat und damit Maßstäbe für
Politikerinnen und Politiker aller Parteien gesetzt hat;
• in Würdigung
seines Mutes, sich mit dem neuen Totalitarismus der Scientology-Organisation
öffentlich auseinanderzusetzen und sich damit für die Verteidigung
der Menschenrechte und die Erhaltung der Religions- und Meinungsfreiheit
in Europa und Nordamerika stark zu machen;
• und als Ausdruck
unserer Unterstützung für alle Menschen diesseits und jenseits
des Atlantik, die sich dafür einsetzen, den Menschenrechtsverletzungen,
die von der Scientology-Organisation in den USA und in Europa begangen
werden, endlich ein Ende zu setzen.
Für das
Komitee - Unterschriften
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On the
10th of June 2001 in
Leipzig, Germany,
the Human
Rights Award of the
European-American
Citizens Committee for Human Rights and Religious Freedom in the USA is
given to a citizen of the
Federal Republic
of Germany,
former federal
Labor Minister,
Dr. Norbert
Blüm
• in acknowledgment
of his clear words and deeds with which he has encouraged and supported
victims of the Scientology Organization, thereby setting a standard for
politicians of all parties;
• in appreciation
of his courage to publicly engage the new totalitarianism of the Scientology
Organization in discussion, thereby reinforcing the defense of human rights
and the preservation of the freedoms of religion and opinion in Europe
and in North America;
• and as an
expression of our support for all people on this and the other side of
the Atlantic who are engaged in finally putting an end to the human rights
violations being committed by the Scientology Organization in the USA and
in Europe.
For the Committee
- signatures
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